Karl Fanta
(geb. 5.2.1931)
Lebenserinnerungen
Ich beziehe mich bei der Niederschrift dieser Erinnerungen auf ein Gespräch mit meinem Mittelschulkollegen Dr. Horst Biemann, worin mich dieser an Absichtserklärungen von Mittelschulkollegen in der 8a-Klasse des Lichtenfels-Gymnasiums in Graz erinnerte, ihren bisherigen Lebenslauf jeweils in nächster Zeit zu Papier zu bringen und denselben ihm (Biemann) jeweils auszuhändigen damit er (Biemann) ein Resümee über die Lebensläufe seiner ehemaligen Schulkollegen über den mittlerweile abgelaufenen Zeitraum von annähernd 65 Jahren ziehen könne. Demgemäß nehme ich nunmehr auf meine eigenen Lebenserinnerungen Bezug und beginne mit den Erinnerungen im Kreise meiner Eltern.
Ich lebte in Graz, in der Wohnung meiner Eltern, Lechgasse Nr. 21. Am 5. Februar 1931 erblickte ich das Licht der Welt. Mein Bruder Julius war zu diesem Zeitpunkt eineinhalb Jahre alt. Da unsere Eltern beide berufstätig waren, wurden wir Kinder in den ersten Jahren unseres Daseins von einem Kindermädchen betreut und ich erinnere mich noch an Spaziergänge mit diesen Betreuerinnen in der südöstlichen Grazer Gartenlandschaft.
Das Haus Münzgrabenstraße 114, welches im Eigentum meiner Großeltern (den Eltern meiner Mutter) stand, erschien schließlich für die vierköpfige Familie Fanta nicht genügend geräumig, sodass wir im Herbst 1937 in eine Mietwohnung im Haus Lechgasse 21 (im Hilmteich-Viertel) übersiedelten. In dieser geräumigen Wohnung verlebte ich meine Studienzeit, beginnend mit der Volksschule (4 Jahre), fortgesetzt mit dem achtjährigen Studium am Liechtenfels-Gymnasium bis zur Matura im Frühsommer 1949. Danach das anschließende Studium des Bauingenieur-Wesens an der Technischen Hochschule Graz, das ich im Spätsommer 1956 zum Abschluss brachte. Nach dem Abschluss des Bauingenieur-Studiums trat ich im Frühjahr 1957 als Bau-Ingenieur in den technischen Dienst des Landes Kärnten mit der Dienststelle Wasserbauamt Spittal.
Im Spätsommer 1957 schloss ich den Bund der Ehe mit meiner jetzigen Gemahlin, Zita Fanta (geb. Ehgartner). Ich bin glücklich, dass meine Frau mich unterstützt, indem sie diese Lebenserinnerungen mit dem Computer bearbeitet. Mein erster Dienstort befand sich im Wasserbauamt Spittal. a. d. Drau. Der dortige Amtsleiter, O.R. Dipl. Ing. Berner, war ein ehemaliger Studienkollege meines Vaters an der Militärakademie in Wiener Neustadt. Der Wasserbau-Chef des Bundeslandes Kärnten in Klagenfurt Hofrat Dr. Possegger glaubte mir einen Gefallen zu erweisen, als er mich einem Beamten unterstellte, von welchem ihm bekannt war, dass er im militärischen Dienst vor dem Ersten Weltkrieg mit meinem Vater in kollegialer Beziehung stand; ohne jedoch zu wissen, dass Dipl. Ing. Berner meinen Vater, der es im Bundesland Steiermark zum Hofrat und Abteilungsvorstand gebracht hatte, insgeheim mit hasserfülltem Neid beobachtete, den er nun an mir, den ihm unterstellten Sohn seines manisch gehassten ehemaligen Studienkollegen glaubte ungestraft ausleben zu können. Diese Art von Gehässigkeit äußerte sich u. a. darin, dass er mich immer wieder durch den Büro-Diener in sein Zimmer beordern ließ und, ohne ein Wort an mich zu richten, vor seinem Schreibtisch an dem er, anscheinend mit wichtigen Dingen befasst, zu arbeiten schien, stehen ließ, bis ich endlich selbst das Zimmer wieder verließ. Von dem Buchhalter des Amtes, der zugleich SPÖ-Stadtrat in Spittal war, erfuhr ich, dass Berner eine denkbar negative Dienstbeschreibung meiner Person an die vorgesetzte Dienststelle der Kärntner Landesregierung abgab. Mit Hilfe dieses Stadtrates gelang es mir nach etwa einem halben Jahr, meine Versetzung an das Wasserbauamt Villach durchzusetzen.
Mein Vater, Hofrat Dipl. Ing. Karl Fanta, befand sich beruflich in leitender Position als Abteilungsvorstand im steiermärkischen Landesbauamt, wo er das gesamte Wasserbauwesen im Bundesland Steiermark zu beaufsichtigen hatte. In dieser Funktion befasste er sich auch häufig mit dienstlichen Verrichtungen, wie Tagungen etc., in welchen technische und organisatorische Fragen erörtert wurden. Das Studium an der technischen Hochschule, welches die Voraussetzung für die Ausübung des Berufes meines Vaters bildete, hatte er erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Angriff genommen, weil er vorher, als Sohn wie auch als Neffe von k. u. k. Generälen, zwangsläufig für den Offiziersdienst in der k. u. k. Armee ausersehen war und daher, nach Beendigung des Gymnasialstudiums, die Militärakademie in Wiener Neustadt zu frequentieren und von dieser vor Studienabschluss in den Ersten Weltkriegsschauplatz Serbien zu ziehen hatte, von wo er, schwer verwundet, zunächst in ein Lazarett, und danach auf den galizischen Kriegsschauplatz gegen Russland beordert wurde, von wo er 1915 durch Bauchschuss schwer verwundet, zunächst in das Hinterland, danach aber neuerlich an die Front, diesmal gegen Italien, beordert wurde, wo er 1918 schließlich an einer schweren Grippe erkrankte.
Das Ende des Ersten Weltkrieges erlebte mein Vater, als Rekonvaleszent, in Wiener Neustadt. Dieses Ende brachte ihm in einem neu gegründeten, von Sozialdemokraten beherrschten österreichischen Staat die frist- und unterhaltslose Entlassung aus der nicht mehr existenten k. u. k. Armee. Hierauf begab er sich nach Graz, wo er, als Sudetendeutscher, eine diesbezügliche Organisation antraf, die ihn aufnahm und notdürftig versorgte. In dieser Organisation lernte er seine spätere Frau, meine Mutter kennen, die als Absolventin der Grazer Lehrerbildungsanstalt den Lehrberuf an einer Volksschule ausübte und ihn in ihr väterliches Haus in Graz, Münzgrabenstraße 114 aufnahm, wo er sich von den Schrecknissen des Krieges erholen und meine Mutter, Aloisia Frank, heiraten konnte. Mein Vater befleißigte sich nunmehr des Bauingenieur-Studiums an der Technischen Hochschule in Graz, das er als Diplomingenieur beenden konnte und erlangte mit Unterstützung der Sudetendeutschen Landsmannschaft nach Studienabschluss als Vertrags-Angestellter und später als Beamter die Aufnahme in den Technischen Dienst des Landes Steiermark. Eine wichtige Voraussetzung hierfür war die Ehe mit meiner Mutter Aloisia Fanta, geb. Frank, zumal ihr Vater, Eduard Frank, in dieser Organisation wesentlichen Einfluss hatte. Es war nahe liegend, dass mein Vater, der nach Abschluss des Studiums an der Technischen Hochschule in den steiermärkischen Landesdienst eintrat, die Tochter seines Wohltäters, meine Mutter, heiratete, sobald es seine Finanzlage gestattete.
Dieser Ehe entsprossen schließlich zwei Söhne; mein Bruder Julius, geb. 1929 und ich, geb. 1931. Der Abschluss des Bauingenieur-Studiums gestattete es meinem Vater, mit Unterstützung der sudetendeutschen Landsmannschaft ein pragmatisches Dienstverhältnis im Land Steiermark zu erreichen. Erst im Jahr 1938 nach Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde diese Situation problematisch, zumal mein Vater, als Sohn und Enkel österreichischer Generäle, ein überzeugter Anhänger des Hauses Habsburg, keinesfalls aber Hitlers und des Nationalsozialismus war. Diese Problematik wurde jedoch gegenstandslos, als mein Vater 1940 zur Deutschen Wehrmacht einberufen wurde, wobei ihm der Rang eines Hauptmanns bei den Pionieren zuerkannt wurde.
In Anerkennung seines technischen Berufes als Bauingenieur wurde mein Vater zu den Pionieren nach Schwaz in Tirol beordert, wo ihm seine Frau (meine Mutter) und seine beiden Söhne (mein Bruder Julius und ich) nahe sein konnten, indem sie in der Nähe, bei einem Bauern, logierten. Diese Art von Großzügigkeit war jedoch nur zu Beginn des Krieges (bis 1941) angängig. In der Folge wurde mein Vater nach Breslau versetzt, wo ihn nur meine Mutter (seine Frau) besuchen durfte und im weiteren Verlauf des Krieges, als mein Vater in die Ukraine bzw. zur 6. Armee nach Stalingrad versetzt wurde, war auch das nicht mehr möglich. Der Einkesselung in Stalingrad zu entgehen, der die gesamte Einheit, der mein Vater angehörte, zum Opfer fiel, grenzt an ein Wunder. Krankheitshalber wurde er, kurz vor ihrer Einkesselung, von dieser Armee abgezogen und in ein Lazarett nach Bad Steben in Oberfranken verlegt, wo ihn nur meine Mutter fallweise besuchen durfte, während mein Bruder und ich das Hotel, in dem wir untergebracht waren, nur zu Sportzwecken verlassen durften.
Im Frühjahr 1942 kehrten wir nach Graz zurück, wo im Lichtenfels-Gymnasium der durch den Brennstoffmangel unterbrochene Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde. Jedoch nicht allzu lang. Am ersten November 1944 zerstörte der erste amerikanische Groß-Luftangriff weite Teile der Stadt. Auf Waggondächern angeklammert flüchteten meine Mutter, mein Bruder und ich nach Zeutschach. 12 Jahre vorher hatten meine Eltern einen etwa 70 Hektar großen Bauernhof erworben. Dieses Bauerngut, welches zu etwa zwei Drittel aus Hochwald in einem gebirgigen Gelände bestand, sollte nach Auffassung meines Vaters nicht zuletzt dazu dienen, zumindest für seine Nachkommenschaft, der immer mehr Platz greifenden Degeneration der zivilisierten Menschheit infolge der Verstädterung Einhalt zu gebieten. Hierzu war es im speziellen Fall notwendig, einen theoretisch wie praktisch geschulten landwirtschaftlichen Experten als Verwalter einzusetzen. 1944/45, als der 2. Weltkrieg sukzessive zu Ende ging, hatten meine in Graz lebenden Eltern einen den Heinzhof bewirtschaftenden Verwalter namens Moitzi.
Die Katastrophe von Stalingrad setzte dem Zweiten Weltkrieg keineswegs ein Ende; wohl aber dem deutschen Siegestaumel, welcher bis dahin weitgehend noch bestanden hatte. Zunehmend wich er nunmehr dem nüchternen Beurteilungsvermögen, woran nach dem Kriegseintritt der USA nicht zuletzt auch die Bedrohung deutscher Städte aus der Luft beitrug. Während andere Städte, vornehmlich in Nord- und Westdeutschland, schon erhebliche Zerstörungen durch Luftangriffe aufwiesen, war Graz, der Wohnort meiner Familie, zunächst hiervon verschont geblieben. Unbeschadet immer häufigerer durch Sirenengeheul ausgelöster Flugzeug-Warnungen schien bis zum 1. November 1944 diesbezüglich keine ernstliche Gefahr vorhanden zu sein. Als ich an diesem Tag, der schulfrei war, Luftschutzdienst in der Schule zu versehen hatte, gedachte ich mich in Ruhe meiner Lieblingslektüre, den Kriegs-Abenteuern der Deutschen Kreuzer Goeben und Breslau im Ersten Weltkrieg in den türkischen Gewässern widmen zu können, woran mich auch die einen Flieger-Alarm ankündigenden Sirenen-Töne nicht störten. Da ich in die spannende Lektüre so vertieft war, ließ ich mich zunächst auch durch das jammervolle Einlangen ausgebombter Menschen im Keller des Gymnasiums nicht aus der Ruhe bringen und erst als mit entsetzlichen Rauschen und Dröhnen schwere Bomben nahe der Schule einschlugen, war es auch mit meiner Lese-Leidenschaft vorbei. Bald darauf aber gaben die Sirenen Entwarnung und mit Entsetzen musste ich wahrnehmen, dass dieser Angriff der US-Luftwaffe furchtbare Verheerungen angerichtet hatte, die sich über das gesamte Stadtgebiet von Graz erstreckten. Erst erheblich später wurde publik, dass die US-Luftwaffe damit der "Stadt der Volkserhebung" durch diesen Großangriff zahlreicher Bomberverbände auf Graz am Ersten November 1944 einen Denkzettel dafür verpassen wollten, dass es die Grazer NSDAP war, die Hitler im Jahr 1938 zum Einmarsch des deutschen Militärs in Österreich bzw. zu dessen Anschluss an Hitler-Deutschland ermutigt hatte. Für diesen Dienst der Grazer NSDAP bedankte sich Hitler auch damit, dass er nach dem Anschluss an das Deutsche Reich diese österreichische Metropole als erste besuchte, wobei er in einem offenen PKW über die Ringstraße fuhr und sich bejubeln ließ.
Meine Mutter war zwar nie Mitglied der NSDAP, aber á conto ihrer sudetendeutschen Abstammung doch in ihrer politischen Gesinnung deutschnational eingestellt, was ihrem Ehemann, meinen Vater, insofern zugute kam, weil ihm dadurch vielleicht Schwierigkeiten mit der Partei, die ihm als habsburgisch gesinnten Monarchisten sonst vielleicht, geblüht hätten, erspart geblieben sind.
Als Hitler im Sommer 1938 Graz besuchte, war ich sieben Jahre alt und wurde von meiner Mutter, die es nicht verabsäumen wollte, den Führer zu sehen, zur Glacis-Straße mitgenommen, wo sich eine große Menschenmenge angesammelt hatte. Trotz des Gedränges gelang es ihr, sich und mich bis zur Absperrung vorzudrängen, wo wir der kommenden Dinge harrten. Und sie kamen, angekündigt zunächst durch ein immer lauter um sich greifendes Jubelgeschrei. Und dann kam der Moment, wo der Führer in einem hinten offenen Pkw stand und sich an der rechten Seitenwand (rechts) anklammerte, wobei er die linke Hand zum Heil-Zeichen schräg nach vorwärts ausgerichtet hatte und so im Schritt-Tempo an uns vorbei fuhr. Wobei die an der rechten Straßenseite des Glacis angestaute Volksmenge ein ungeheures Sieg-Heil-Geschrei ertönen ließ, während die linke Glacis-Seite am Stadtpark nur von Polizei besetzt war. Rückschauend könnte man vielleicht sagen: Der verlorene Erste Weltkrieg mit seinen ungeheuren Opfern, der Arbeitslosigkeit und Wirtschaftspleite verlangte nach einem Retter, einem Führer aus der Not, der uneigennützig, selbst arm und geknechtet, auserwählt war, das Elend der Massen dadurch zu beheben, indem er diese zu nationaler Größe erhob. Als wahrhaft Großer der Weltgeschichte erschien Hitler auserwählt von der Vorsehung, das was von den scheinbar Mächtigen der Vergangenheit zur nationalen und sozialen Katastrophe des deutschen Volkes derangiert worden war, statusmäßig zu redigieren, indem er, unter Ausschaltung tradierter Rechte, das nationale Element noch vor das Soziale stellte, um damit dem wahrhaft Tüchtigen den Vorrang gegenüber dem Erbreichen zu eröffnen.
Die Reaktion unserer Grazer Nachbarschaft auf den katastrophalen Luftangriff der US-Luftwaffe auf die "Stadt der Volkserhebung" am Ersten November 1944 war beachtlich; nicht zuletzt auch in Hinblick auf ihren Siegestaumel vor und zu Beginn des Krieges. Jetzt aber war es mit der Sieges-Zuversicht bei der Mehrzahl der Volksgenossen vorbei und an ihre Stelle trat die Devise "Rette sich, wer kann". Mein Vater, der als Leiter des Wasserbaues für Slowenien in Marburg etabliert war, telegrafierte am Morgen des nächsten Tages: "Sofort ab nach Zeutschach". Unter Zeutschach war der Bauernhof gemeint, den meine Eltern 1933 in der Nähe von Neumarkt in Steiermark unter günstigen Kaufbedingungen erworben hatten. Dieser Hof befindet sich im gebirgigen Gelände der Obersteiermark in 1.100m Seehöhe weitab von Siedlungen. Dieser Ort erschien uns sicherer als ein weiteres Verbleiben in der Großstadt Graz. Abenteuerlich war jedoch die Reise dorthin, die wir am zweiten November 1944 antraten. Schon der Marsch zum Bahnhof musste zu Fuß erfolgen, weil alle Verkehrsmittel ausgefallen waren. Wir, meine Mutter mein Bruder und ich, mussten in der Annenstraße über Berge von Schutt klettern, wobei sich uns der Blick auf intimste Objekte in halbierten Räumlichkeiten eröffnete. Da der Hauptbahnhof nur noch aus einem Schutthaufen bestand, mussten wir zu Fuß in Richtung Bruck a. d. Mur marschieren, bis wir die Waggons eines Zuges erreichten, der jedoch total mit Flüchtlingen überfüllt war. Glücklicherweise konnten wir schließlich gerade noch auf dem Dach eines Waggons Liegeplätze ergattern und uns dort an Lüftungsschloten anklammern. Die Fahrt nach Bruck a. d. Mur war ein Abenteuer der Anklammerung. In Bruck mussten wir den Zug wechseln und gelangten schließlich, wieder auf dem Dach des Folgezug-Waggons angeklammert, nach Neumarkt, wo wir schließlich von einem der beiden Franzosen geholt und mittels Pferdefuhrwerk auf unseren Heinzhof nach Zeutschach gebracht wurden.
Als Landwirtschaft, in welcher wir, mein Bruder Julius und ich, nunmehr voll als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, nachdem wir Mitteilung erhalten hatten, dass ein geordneter Schulbetrieb in Graz angesichts fortdauernder Luftangriffe der Amerikaner auf diese Stadt nicht mehr möglich erschien, war der Heinzhof nunmehr bis auf weiteres unsere Bleibe. Die Bauernhöfe in der Gemeinde Zeutschach waren zu dieser Zeit noch nicht überwiegend maschinell organisiert und lagen arbeitsmäßig weitgehend in der Hand von Frauen. Nur der Verwalter des Hofes namens Moitzi war ein inländischer Mann, ihm unterstanden drei kriegsgefangene Arbeitskräfte, zwei Franzosen und ein Pole. Ein erheblicher Anteil der geernteten bzw. gespeicherten landwirtschaftlichen Produkte, zu welchen Kartoffel, Rüben, Roggen, Gerste, Weizen und Hafer zählten, musste für kriegswirtschaftliche Zwecke abgeliefert werden. Dass diese Ablieferung ordnungsgemäß und ohne versteckte Zurückbehaltung vonstatten ging, dazu wurden von einem der Bauern, vlg. Tonibauer, der dem Nazi-Regime besonders verbunden erschien, fallweise Kontrollen vorgenommen, die jedoch, meiner Erinnerung nach, zu keinen Beanstandungen führten, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, dass das Ende des Dritten Reiches außer Zweifel stand und niemand noch kurz vor diesem Ende ein Opfer dieses Reiches werden wollte. Während meine Mutter, mein Bruder und ich solcherart auf dem Heinzhof in Zeutschach ein auskömmliches Dasein hatten, wurde jedoch das obere Murtal im Bereich der Industriegebiete Leoben - Judenburg mehrfach bombardiert.
Der 2 Weltkrieg, der bis dahin schrecklichste aller vorherigen Kriege, verfiel in das Endstadium, welches sich durch das Erlahmen jeglichen Widerstandes auf deutscher Seite im Luftkrieg bemerkbar machte. Der Luftraum wurde im Frühjahr 1945 bis zum Kriegsende am 8. Mai von den Alliierten so souverän beherrscht, dass sich in Obersteiermark die das Feld bestellenden französischen Kriegsgefangenen sicherheitshalber immer wieder zu Boden warfen, zumal die einmotorigen englischen Flugzeuge mit hoher Geschwindigkeit in Bodennähe dahinflogen und mit Maschinenkanonen ohne fixes Ziel durch die Gegend schossen; offensichtlich in der Absicht, die Widerstandskraft des auf deutscher Seite als letztes Abwehrmittel mobilisierten Volkssturmes durch das Demonstrieren ihrer Luftraum-Beherrschung psychologisch auszuschalten. Sie erreichten damit auch, dass die zur Feldbestellung entsandten kriegsgefangenen Arbeitskräfte sich außerstand sahen, ihren Arbeitsverpflichtungen nachzukommen.
Erst nach Ende des Krieges, im Spätsommer 1945, gelangten wir wieder nach Graz, Lechgasse 21 zurück, wo wir eine von den Russen total demolierte Wohnung vorfanden. Das Mobiliar war weitgehend zerstört und das Klavier war verschwunden. Unbeschädigt fanden wir erstaunlicher Weise nur den großen Schrank mit der Spiegeltüre. Vom Hausbesorger erfuhren wir, dass die Russen in diesem Spiegel sich laufend selbst betrachteten und ihn daher unbeschädigt ließen. Dieser Spiegelschrank ist heute noch in unserer Wiener Wohnung vorhanden.
Erst im Herbst 1945 setzte die Schulzeit im Liechtenfels-Gymnasium wieder ein. Es ist mir in Erinnerung geblieben, dass der Deutsch-Professor in der 8a- Klasse namens Schedivy, wenn er von der Englisch-Professorin namens Lind sprach, diese immer als Lindin bezeichnete. Mitunter trug er mir auch Grüße an meine Mutter auf, die seine Lehrerin in der Volksschule gewesen war. Die acht Jahre, welche ich als studierender Schüler am Lichtenfels–Gymnasium verbringen durfte, gehören fraglos zu den schönsten und interessantesten meines Lebens. Ich führe dies sowohl auf die Verbundenheit der Schüler als auch auf das großartige Lehrpotential und die kollegiale Verbundenheit der Professoren zurück. Persönlichkeiten wie Schedivy und Lind sind mir besonders im Gedächtnis geblieben. Bewundernswert war aber auch der Zusammenhalt der Studierenden, von welchen Persönlichkeiten wie Philip Harnoncourt, Gebhard Kranz, Häusler und Frederic Mirdita hervorstachen, durch ihre höchstpersönlichen der Gegenwart angepassten Lebensauffassungen. Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir auch Georg Winkler und Horst Biemann. Diese angenehme Atmosphäre ging mit der Matura, die ich mit Auszeichnung bestehen konnte, zu Ende und wich dem härteren Klima an der technischen Hochschule, wo ich der Weisung meines Vaters folgend Bauingenieurwesen zu studieren hatte.
Nachdem wir von Zeutschach wieder nach Graz übersiedelt waren, war es unser oberstes Gebot, die dortigen Wohnmöglichkeiten wieder in einen menschenwürdigen Zustand zu versetzen, zumal man die von den Russen hinterlassenen Räumlichkeiten schlechthin als Kloaken zu bezeichnen hatte. Da mein Vater als Beamter im steiermärkischen Landesbauamt über Gebühr beschäftigt war bzw. mein Bruder Julius und ich den Studienanforderungen an der Lichtenfels-Schule zu genügen hatten, lastete das Gebot, die Wohnung wieder in menschenwürdigen Zustand zu versetzen, zur Gänze auf meiner Mutter, zumal der Haus- bzw. Wohnungseigentümer, ein Herr Preprost aus Lienz in Osttirol, kein Interesse zeigte, sich um den Zustand seines Grazer Besitztums zu kümmern. Ich glaube, dass der frühe Tod meiner Mutter nicht zuletzt auf die Ärgernisse zurückzuführen ist, die ihr in Zusammenhang mit dem Wohnungsproblem bereitet wurden. Ich konnte ihr in diesem Zusammenhang nicht beistehen, weil ich nach Beendigung des Bauingenieur-Studiums an der Technischen Hochschule Graz in den technischen Dienst des Landes Kärnten trat, dem ich bis zu meiner Pensionierung Ende 1991 verbunden blieb.
Der Grund für diese relativ frühzeitige Pensionierung war eine mir unverständliche Diskrepanz mit dem erst kurze Zeit davor als Landeshauptmann in Erscheinung getretenen FPÖ–Granden Jörg Heider, der kurz darauf aus dem Leben schied, ein Dienst-Auto des Landes selbst chauffierend, dieses einen Kopfstand vollführen ließ, wobei er das Auto einer Dame beschädigte und diese schwer verletzte.
Nach Aufnahme in den Landesdienst im Bundesland Kärnten, in Spittal a. d. Drau als Vertrags-Bediensteter Wasserbau-Techniker war ich tätig, wobei mich meine Frau, Zita, nach unserer Hochzeit, im Privatleben unterstützte, während der dortige Amtsleiter, Oberbaurat Berner mich einerseits untätig vegetieren ließ, andererseits aber als unfähig und unbrauchbar bezeichnete. Glücklicher weise befand sich im Wasserbauamt der Personalschef Supanz, seines Zeichens Sozialdemokrat und Vizebürgermeister der Stadt Spital, welcher die Unmenschlichkeit an mir sehr wohl durchschaute. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich alsbald nach Villach, an das dortige Wasserbauamt versetzt wurde, dessen Leiter, Hofrat Schörfl, mir, wohlgesonnen war und mich in Planung und Beaufsichtigung von Flußbau-Agenden weitgehend selbstständig arbeiten ließ. Auch der Wasserbau-Chef in Klagenfurt, Hofrat Dr. Possegger war mir gesonnen und veranlasste nach einigen Jahren meine Versetzung in die Zentrale nach Klagenfurt, wo ich schließlich, nach seiner Pensionierung, seine Nachfolge antrat und bis zu meiner Pensionierung, 1991, das gesamte Wasserbauwesen im Bundesland Kärnten zu beaufsichtigen hatte. Es handelte sich um Siedlungs-Wasserbau und Wasserbau an Fließ- und stehenden Gewässern.
Parallel zu der vorerwähnten beruflichen Tätigkeit verlief mein Privatleben. Dieses wurde, nicht unerheblich, vom meinem Interesse für Geschichte beeinflusst. Besonders die - nach der Napoleonischen Ära – platzgreifenden Nationalitätenkonflikte, die, nicht zuletzt, durch die Bestrebung der deutschsprachigen Reiche, Deutschland und Österreich-Ungarn, welche als Verbündete, in Widerpart zu den 3 anderen europäischen Großmächten, Frankreich, Großbritannien, und Russland, eine Art Weltherrschaft zu installieren suchten. Das Interesse an Geschichte veranlasste mich in der Pensionszeit, ein diesbezügliches Studium (Geschichte und Völkerkunde) in Angriff zu nehmen und in diesem Zusammenhang das universitäre Studium dieser Materien zu einem vorläufigen Abschluss zu bringen. Nach der diesbezüglichen Promotion an der Universität Wien habe ich das Studium fortgesetzt mit dem neuen Thema Theater-, Film- und Medienwissenschaft. In diesem Zusammenhang habe ich bisher die Texte zu 18 Theaterstücken verfasst, deren Aufführung ich in geeigneter Weise zu erreichen hoffe.
Abschließend will ich noch erwähnen, dass ich zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Text zu Papier brachte, altersmäßig 86 Jahre und vier Monate zählte und noch immer auf zwei Beinen stehen kann, sowie darüber hinaus auch vor einem mehrstündigen Spaziergang von Hietzing über den Tirolerhof und die Gloriette durch den Schlosspark von Schönbrunn nicht zurückzuschrecken brauche.
Im heurigen Jahr wollen wir unser 60-jähriges Ehe-Jubiläum feiern. Im Verlauf unserer Ehe bekamen wir drei Kinder. Zunächst unseren Sohn Walter, der nunmehr schon bald sechzig Jahre zählt und ordentlicher Professor* an der Universität in Klagenfurt ist, sowie zwei Töchter, von welchen Maria, die Ältere, das Haus in Graz, Münzgrabenstraße 114 besitzt und Claudia, unsere Jüngste, im diplomatischen Dienst der Republik Österreich** tätig ist und in diesem Rahmen auch häufig in Paris arbeitet.
Unsere Kinder betreuen nun auch mein von den Eltern geerbtes Häuschen mit etwas Grund und Waldbesitz in Zeutschach. Unsere 7 Enkelkinder sind auch schon erwachsen. 5 junge Männer und 2 junge Frauen. Wir glauben, dass Kontakte mit jungen Menschen wichtig und erfreulich sind.
Verfasst im Mai 2017 im Wien mit Computer-Unterstützung von Zita Fanta; geändert wurden nur Schreibversehen und die überbordende Kommasetzung.
* Für die Nobilitierung bedankt sich der Privatdozent
** Für die Nobilitierung bedankt sich die FMA-Mitarbeiterin