Ewiges Leben

Porträts & Exposés

Worauf es ankommt

Worauf kommt es an? Die Rede ist von Liebe, von der Ehe. Die Gesten der Liebe, wie man küsst, haben wir von Hollywood gelernt. Und über die Ehen, dass sie früher im Himmel geschlossen worden sind und dass die Ehe heutzutage ein Vertrag ist, dessen Bestimmungen für Scheidungsanwälte eine Rolle spielen.

Die Braut, Johanna, hat viel Liebe in das Nest ihrer Kindheit gelegt bekommen. Sie war unser Sonnenschein, hübsch, fröhlich, gescheit, unsere einzige Tochter und Schwester, eine, wie man sich eine nur wünschen kann. Und doch liegt ein Schatten über ihrer Kindheit, es gibt einen Riss, der Unbestimmtheit in ihr Wesen gebracht hat, ein Gefühl, dass es schwer ist, sich zu entscheiden, zu vertrauen. Das geht vom Vater aus, sein Weg erscheint wenig konstant, oft geradezu als Abweg, er verliert sich, statt Liebespartnerinnen hat er Lebensabschnittspartnerinnen aneinandergereiht. Johannas Mutter war auf sich selbst zurückgeworfen, alleine verantwortlich, alleine erziehend, gemeinsam mit dem großen Bruder Alexander bot sie Johanna den ganzen Halt, wird zum Sicherheitsanker, zum Vorbild, später immer mehr zur Freundin.

Der Bräutigam, Phillipp, hat in seiner Kindheit genau dasselbe erfahren. Auch auf ihr liegt der Schatten, auch in ihr klafft der Riss. Der Vater entfernt, oft fehlt die Hand, die den Jungen hält, die ihm das reicht, was er braucht. So lernt Phillipp sehr früh, die Verantwortung für sich selber zu übernehmen, und für die Mutter mitzudenken; auch sie trägt die Last und die Sorgen beinahe alleine, wunderbar unterstützt nur von ihrer Mutter, Phillipps Oma, die heute hier bei uns ist, als unser Ehrengast. Und auch seiner Schwester Elli wird Phillipp in der vaterlosen Familie ein starker Bruder, eine echte Stütze auf ihrem auch manchmal schwierigen Weg zu sich selbst.

Johanna und Phillipp. So haben sie sich vielleicht gesucht, bevor sie sich gefunden haben. Aus gleichem Holz geschnitzt, in ihren Herzen ähnliche Hoffnungen nährend an das große Lebensabenteuer, die Liebe. Sie haben beide den Traum geträumt, „von den beiden Halbkugeln, den Platon erzählt, daß der ursprüngliche ganze Mensch von den Göttern in zwei Teile geteilt worden sei, in Mann und Weib.“ So steht es in Musils Mann ohne Eigenschaften, und er schreibt darüber noch: „So wie an den Mythos vom Menschen, der geteilt worden ist, könnten wir auch an Pygmalion, an den Hermaphroditen oder an Isis und Osiris denken: es bleibt doch immer in verschiedener Weise das gleiche. Dieses Verlangen nach einem Doppelgänger im anderen Geschlecht ist uralt. Es will die Liebe eines Wesens, das uns völlig gleichen, aber doch ein anderes als wir sein soll, eine Zaubergestalt, die wir sind, die aber doch eben auch eine Zaubergestalt bleibt…“ So waren Johanna und Phillipp, bevor sie sich kennengelernt haben, als sie allein durch die Welt irrten, zwei Halbheiten, die sich dann zusammengefunden haben zu einem runden Ganzen.

Sie sind geimpft mit den Erfahrungen ihrer Eltern. Es erscheint paradox, dass gerade diese ihre Abkunft von diesen Eltern ihnen Halt gibt. Ihre Herkunft bildet den Dünger, auf dem ihre Liebe wächst. Denn was ist die Liebe auch anderes als ein Wachsen? Ein zusammen Wachsen und ein Zusammenwachsen. Sie, Johanna, ist die Rose, er, Phillipp, ist die Rebe, so oft beschworen in der Poesie, Rosenstrauch und Weinstock sind sie…

Und nun – der Beweis, das es so ist: Jetzt sind sie da!  Alle! Phillipps Vater, Hajo! Heute steht er fest, stolz hinter seinem Sohn. Phillips Mutter, Silvia, nicht länger grämt sie sich und grollt sie, mit ihrer Mutter und mit ihrem Bruder und ihrer Tochter stehen sie alle gemeinsam mit dem Vater da und freuen ich gemeinsam für ihren Phillipp. Was gibt das für einen Dünger!?

Und Johannas Mutter, Hilde, mit ihren Brüdern, und deren Partnerinnen, und ihrer Schwester, und sie alle mit ihren Kindern und deren Partnern. Wissen sollt ihr, liebe Gäste, über Hilde stammt Johanna aus einem, kräftigen, breitschultrigen, uralten niederösterreichischen Bauerngeschlecht. Was bitte, gibt das für einen Dünger!?

Und zuletzt Johannas stolzer Vater, also ich, mit meinen Schwestern, ihren Partnern, und unsere Kinder, auch schon manche mit ihren Partnern. Was für ein Dünger! Nicht zu vergessen: vier Brüder hat sie, nicht alle mit ihr aufgewachsen, vielleicht ein Glück, wer weiß? Aber was für ein Glück, jetzt vier Brüder zu haben, die alle vier gekommen sind, jetzt um sie sind, auf die sie heute zählen kann, und in der Zukunft.

Nur zwei Menschen fehlen heute, und mit ihrer Erwähnung schließe ich meine Beweisführung ab. Es sind meine Eltern, Johannas Großeltern, die kommen wollten und es dann doch nicht konnten. Phillipp und Johanna waren beide vor weniger als einem Jahr bei ihrer diamantenen Hochzeit. Meine Eltern waren also am 15. August 2017 sechzig Jahre verheiratet. Für mich ist die Ehe meiner Eltern, trotz aller furchtbaren Schwierigkeiten, ausgiebig gedüngt, wie ein Diamant, unter riesigem Druck gepresst, in der Dauer fast eines ganzen Menschenlebens, genährt vom Wundermittel der Treue und der Beständigkeit; auf gut Deutsch: Einfach Z’sammbleib’n.

Euch wünsch ich, liebe Johanna und lieber Phillipp, nur eines, das aber alles zusammenfasst: Ich wünsche euch auch einen Diamanten – dass ihr am 16. Juni 2078 eure diamantene Hochzeit feiert!